Heute (***) kommt eine Empfehlung der besonderen Art. Während ich sonst meinen mehr oder weniger berühmten „Senf“ zu Romanen und Thrillern abgebe, möchte ich Euch heute eine sowohl amüsante als auch ergreifende Autobiographie ans Herz bzw. ans Ohr legen.

Titel: Auch eine Rosine hat noch Saft: 80 Jahre zwischen Ost und West, Bomben und Theater
Autor: Luise Lunow
Verlag: XPUB
Spielzeit: 7 Stunden, 3 Minuten
Hörbuch: erhältlich u.a. bei Audible

Die Hörbuchvariante wird von Luise Lunow selbst gesprochen – mit der „Stimme der schrulligen Alten“ ein wahrer Hochgenuss.

Doch lassen wir Frau Lunow zunächst selbst zu Wort kommen, Dank der Lauscherlounge via YouTube,  hier.

Luise Lunow wurde im heutigen Babelsberg geboren und beschreibt in ihrer Autobiographie in humorvollen und auch rührenden Worte ihr ereignisreiches Leben. Anekdoten aus Kindertagen – vom Nachbarshund der das angebotene Brötchen – pardon, die „Schrippe“ – verschmäht und so Dasselbige wieder in der Bäckerstüte verschwindet (um dann auf dem heimatlichen Frühstückstisch zu landen) oder von „Russland-Oma“ und „Russland-Opa“, die hin und wieder zu Besuch kamen.

Wer Sprache und Wortspiele mag, ist bei dieser Narration genau richtig. Amüsant und voller Frohsinn erzählt Frau Lunow von den kleinen und großen Geschichten aus ihrer Theaterwelt. Es darf herzhaft gelacht werden, wenn beispielsweise die Feuerwehr zum Löschen über ein Trampolin stolpert. Verzückung im besten Sinne es Wortes – gepaart mit einem romantischen Seufzer – widerfährt dem Hörer, als eine „scharfe Kurve“ in der Bahn, die „scharfen Kurven“ der Erzählerin in den Arme eines Verehrers befördert. Im nächsten Moment erschüttern (wieder) die Geschehnisse aus Kriegs- und Nachkriegszeiten bis in Mark.

In diesem Zusammenhang fällt mir ein Filmzitat an:

„Every life is a pile of good things and bad things. The good things don’t always soften the bad things, but vice versa, the bad things don’t always spoil the good things and make them unimportant.“ (aus „Vincent and The Doctor“, Doctor Who, Staffel 5, Episode 10). 

Dies trifft es ziemlich genau. Nichts ist schwarz oder weiß; Gutes und Schlechtes gehören einfach dazu.

In jedem Kapitel stecken spannende Erlebnisse – die Flucht aus der DDR garantiert mitfiebern und ist so anschaulich geschildert als sei man selbst dabei. Wer, wie ich, wohlbehütet im Westen aufgewachsen ist, kann sich die Beweggründe und die Unmenschlichkeit einer angeblichen Demokratie nur schwer vorstellen.

In den sieben Stunden +, in denen Luise Lunow ihre Geschichte erzählt, kommen auch die berühmten Die Drei ??? nicht zu kurz. Herrlich sind ihre Erinnerung an die Live-Hörspielaufführungen dieser beliebten (Jugend)serie, die Hallen und auch die Berliner Waldbühne füllten.

Fazit:

„Lesen! Unbedingt lesen!“ Das wäre meine Empfehlung für jeden, der dieses Buch und Luise Lunows Geschichte noch nicht kennt. Oft höre ich heute Stimmen, die abwertend sagen, dass „Geschichte von damals“ doch der berühmte „Schnee von gestern“ sei, aber meines Erachtens können wir, die solche fürchterlichen Erfahrungen glücklicherweise nicht machen mussten, von den Schilderungen nur lernen und versuchen, die friedliche Demokratie, die wir heute genießen, aufrecht zu erhalten. Die Geschichte der „Rosine“ ist so spannend und verdient es, weitererzählt zu werden.

(***) Erst im Nachhinein ist mir aufgefallen, dass ich diesen Beitrag heute – am Tag der deutschen Einheit – veröffentliche. Besser und treffender geht es nicht.