Damit ich nicht in den „Verruf“ gerate, nur Bücher über Mord und Totschlag zu lesen bzw. zu hören, möchte ich heute mal etwas ganz anderes präsentieren. Darf ich also vorstellen:
Titel: Club der Guernseyer Freunde von Dichtung und Kartoffelschalenauflauf
Autor: Mary Ann Shaffer
Verlag: Argon Verlag
Spielzeit: 7 Stunden, 29 Minuten
Mittlerweile sind ja Bücher in, die so ellenlange Titel haben, dass sie fast nicht mehr auf das Cover passen. „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ fällt mir spontan ein. Lange Buchtitel sind allerdings kein Garant für Erfolg – der gerade erwähnte Hundertjährige ist meines Erachtens recht langatmig – sie machen jedoch stutzig und man liest zumindest den Titel ein zweites Mal, um auch alles verstanden zu haben. Bei diesem Buch blieb zunächst nur der Begriff „Kartoffelschalenauflauf“ hängen, da ich, wieder mal autofahrend, nur eine Radioempfehlung hörte. Wieder zuhause erbrachte eine Anfrage bei der Suchmaschine meines Vertrauens das gewünschte Ergebnis. Gekauft, gehört.
Die Geschichte
1946. Kurz nach Kriegsende lernen wir die englische Autorin Juilet kennen, die einen regen Briefwechsel mit einem gewissen Dawsey Adams aus Guernsey eingeht. Was zunächst als eine Art Leserbrief seitens Dawsey begann, um der im entfernten London lebenden Autorin seine Gedanken zu einem ihrer Bücher mitzuteilen, entwickelt sich im Laufe der Ereignisse zu einem leidenschaftlichen Schriftverkehr. So erfährt Juilet vom sogenannten Club der Guernseyer Freunde von Dichtung und Kartoffelschalenauflauf, der sich in den Kriegswirren aus der Not heraus gegründet hatte. Begeistert beschließt Juilet, ein Buch über diesen ungewöhnlichen Club zu schreiben und bittet Dawsey um mehr Informationen. Dawsey, seines Zeichens ein einfacher Bauer auf Guernsey, animiert seine Freunde und Bekannte, mit Juilet in Kontakt zu treten, damit die Autorin möglichst viele Eindrücke und Erzählungen in ihrem geplanten Buch verarbeiten kann. Zunächst etwas misstrauisch erbitten die Guernseyer ihrerseits nun um detaillierte Angaben über Juilets Person und Absichten. Da könnte schließlich Jeder kommen und ein Buch schreiben wollen! Wir werden Zeuge einer herzerfrischenden Korrespondenz zwischen Juilet, ihrer Londoner Freunde und den Bewohnern der Kanalinsel. Jeder hat etwas zu dem Thema beizutragen, mal biestig und bissig, dann liebevoll und aufmunternd. Fasziniert von all den Geschichten reist Juilet nach Guernsey, um die Protagonisten, allen voran Dawsey Adams, persönlich zu treffen…
Gelacht, geweint
Soweit die kurze Inhaltsangabe. Das Besondere ist, dass sich die Handlung ausschließlich in den Briefen der einzelnen Akteure widerspiegelt. Diese wunderbare Schriftsprache macht den Reiz der Geschichte aus. Äußerst formell und höflich werden die jeweiligen Schriftstücke erstellt, wer den Reichtum und die Ausdruckskraft der Sprache zu schätzen weiß, wird diese Buch / Hörbuch lieben.
Neben dieser gewaltigen Sprache sind es die sympathischen Figuren, mit denen herzhaft gelacht und auch bitterlich geweint werden kann. Das Grauen des Krieges ist sowohl zwischen den Zeilen als auch in gnadenloser Klarschrift präsent. Man spürt die Verzweiflung und Wut, doch ebenso die Liebe und Güte und Freundschaft. Natürlich ist die Geschichte um den Club der Guernseyer Freunde von Dichtung und Kartoffelschalenauflauf nicht zuletzt auch eine wunderbare Liebesgeschichte. Taschentuchalarm sei garantiert.
Ich habe die Hörbuchversion genossen – wieder autofahrend, wie Sie sie sich sicherlich schon gedacht haben. Bekannte und ausdrucksstarke Sprecher wie Luise Helm, Johannes Steck, Oliver Rohrbeck, Luise Lunow (hach, wiedermal grandios!), Uve Teschner, Dietmar Wunder, Detlef Bierstedt, Helmut Krauss spielen so leidenschaftlich, dass man gerne ein Kapitel zurückspringt, um es noch einmal anzuhören. Ganz großen Kopfkino.
Sehr zu meinem großen Bedauern habe ich hinterher erfahren, dass die Autorin des Buches, Mary Ann Shaffer bereits verstorben ist. Ähnlich wie Dawsey Adams hätte ich ihr gerne ein paar Zeilen des Danks und der Anerkennung geschrieben. Schwer zu glauben, dass dies ihr erstes – und auch einziges Buch war. Es wurde erst nach ihrem Tod veröffentlicht.